Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung

Digitale Verwaltung: Kann Unglaubliches wahr sein?

Ende 2022 erschütterte eine Nachricht Berlin: Berlin hat weltweit die beste digitale Verwaltung und der Senat weiß von nichts. Wenn Sie dieser schwer nachvollziehbaren Einschätzung auf den Grund gehen wollen, dann schauen Sie sich doch zwei Jahre nach der Veröffentlichung der UN-Studie die Gründe dafür nochmal an und entscheiden Sie selbst: Kann Unglaubliches wirklich wahr…

Stefan Komoß

17.01.2025 • 5 Minuten lesen

Überblick

Ende 2022 erschütterte eine Nachricht Berlin: Berlin hat weltweit die beste digitale Verwaltung und der Senat weiß von nichts. Wenn Sie dieser schwer nachvollziehbaren Einschätzung auf den Grund gehen wollen, dann schauen Sie sich doch zwei Jahre nach der Veröffentlichung der UN-Studie die Gründe dafür nochmal an und entscheiden Sie selbst: Kann Unglaubliches wirklich wahr sein?

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Als die UN am 28. September eine 300-seitige Studie zum Digital-Ranking von Metropolen veröffentlichte, fiel das zunächst niemandem auf. Erst nach einem Bericht des Tagesspiegels erfuhr Berlin von seinem Glück. „Berlin steht bei der Digitalisierung der Verwaltung weltweit auf Platz eins“, hieß es dort. Doch auch seit der Spitzenplatz in der „United Nations E-Government Survey“ bekannt ist, kann sich niemand erklären, wieso Berlin, wo es Monate dauert, einen neuen Personalausweis zu bekommen und Jahre vergehen können, bis man umgemeldet ist, plötzlich bei der digitalen Verwaltung absolute Weltspitze sein soll.

Was wurde aus Seoul, Riga und New York? Laut den Vereinten Nationen liegen sie alle hinter der Berliner Verwaltung. Und das Urteil dürfte nicht nur die Berliner überraschen, auch der Senat hat bis jetzt keine Erklärung für das Ergebnis. Auf eine Anfrage der Berliner Zeitung reagierte bisher nur Frank Brockmann, Landesansprechpartner der Abteilung IKT-Steuerung, Digitalisierung der Verwaltung und Bürgerdienste.

Dieser teilte uns mit, die zuständige Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport sei erst durch den Medienbericht auf ihren Triumph aufmerksam geworden. Man müsse nun erst mal die Datenerhebung sichten, bevor man sich äußere. Bei der müsse es sich jedoch um eine Ferndiagnose handeln, so Brockmann, mit der UN habe es dazu keinen Kontakt gegeben. Konkrete Anfragen der Berliner Zeitung beantwortete die Senatsverwaltung bisher nicht.

Eigentlich hinkt Deutschland dem digitalen Fortschritt hinterher

Deutschland und Digitalisierung, das passte bisher nicht zusammen. Die häufigsten Beschwerden betreffen dabei mangelnde oder langsame Internetverbindungen und fehlende digitale Infrastruktur in Bereichen wie Verwaltung, Gesundheit, Verkehr oder Bezahlung. Überall heißt es: „Deutschland hat die Digitalisierung verschlafen.“

Und weil die Konkurrenz bekanntlich nie schläft, landete Deutschland im digitalen Vergleich bisher auch stets verlässlich auf den hinteren Rängen, wie kürzlich erst wieder auf Platz 19 des „IMD World Digital Competitiveness Ranking 2022“. Spitzenreiter waren Dänemark, die USA, Schweden, Singapur und die Schweiz. Doch jetzt stufen die Vereinten Nationen ausgerechnet die Verwaltung Berlins, über die doch schon seit Ewigkeiten gemeckert wird, als weltweit führend in puncto Digitalisierung ein. Dahinter liegen Madrid und Tallinn. Wie kommen die Vereinten Nationen darauf?

E-Government ist das Zauberwort, das Behördenprozesse, die digital durchführbar sind, beschreibt. So wurde beispielsweise diesen Sommer von der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport angekündigt, dass An- und Ummeldung von Wohnungen bald online möglich sein sollen. Dadurch soll der Behördengang vereinfacht werden. Schon lange leiden die Berliner unter endlosen Wartezeiten auf Termine bei Ämtern. Die Digitalisierung von Verwaltungen ist auch für die Vereinten Nationen relevant, denn der Ausbau von E-Governments ist Teil ihrer 2015 verabschiedeten „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“.

Was ist mit Estland?

Momentan ist in Berlin etwa jeder vierte Behördengang angeblich online durchführbar. In den baltischen Staaten Estland und Lettland wurden aber schon längst sämtliche Behördenprozesse digitalisiert. Das Baltikum war immer Vorbild für die deutschen Behörden, was die Digitalisierung angeht. Jetzt soll es umgekehrt sein?

Die Esten zum Beispiel besitzen eine „Bürgerkarte“, die digital alle lebenswichtigen Daten abspeichert und abruft und außerdem Personalausweis, Führerschein und Krankenkarte zugleich ist. Man kann mit ihr sogar an Wahlen teilnehmen oder die Steuererklärung abgeben. Davon lässt sich in Deutschland nur träumen. Wie kann Berlin dann laut UN das beste E-Government der ganzen Welt besitzen?

Eine Studie der Indexe

Das Department for Economic and Social Affairs (DESA) der Vereinten Nationen veröffentlicht alle zwei Jahre die Studie „E-Government Survey“, die die Effektivität der Dienstleistungen von E-Governments messen soll. Dafür wurden mehrere Indexe erstellt, für lokale und nationale Ebenen. Auf lokaler Ebene wurden Verwaltungen von den bevölkerungsreichsten Städten der 193 Mitgliedstaaten anhand eines „Local Online Service Index“, kurz LOSI, bewertet.

Daneben gibt es noch den OSI, einen Index, der auf nationaler Ebene misst und neben zwei weiteren Indexen in den „E-Government Development Index“ (EGDI) einfließt. Der beschreibt die allgemeine Performanz der digitalen Dienstleistung der Staaten: Hier schafft Deutschland es noch nicht mal in die aufgelisteten Top 15. Zwei Europäische Länder, Dänemark und Finnland stehen an der Spitze, gefolgt von Südkorea auf Platz drei. Estland, das großes Vorbild, schafft es immerhin auf Platz acht. Aber in der Studie fehlt die Querverbindung von lokalem und bundesweitem Service.

Die UN vergleicht innerhalb des „Online Service Index“ auch, welche Dienstleistungen generell auf internationaler Ebene online durchführbar sind. Am häufigsten kann man ein Gewerbe anmelden oder einen Gewerbeschein beantragen, Zulassung und Ummeldung von Fahrzeugen sind international am seltensten durchführbar. In Berlin können alle vier Dienstleistungen online in Anspruch genommen werden.

Scrollt man weiter durch das 300-seitige Dokument der Studie, so findet man unter den über 100 Tabellen die eine, die erklärt, warum Berlin beim „Local Online Service Index“ ganz oben steht. Hier werden die ausgewählten Städte in fünf Kategorien bewertet. Unsere Verwaltung liegt in den Kategorien „Institutioneller Rahmen“, „Bereitstellung von Inhalten“ und „Engagement“ auf Platz eins. In den Feldern „Bereitstellung für Dienstleistungen“ und „Technologie“ jeweils auf Platz vier.

Zwischen Wirklichkeit und Ferndiagnose

Damit erreicht das Berliner E-Government mit fast 98 Prozent den höchsten Durchschnittswert aller Städte. Doch haben die Mitarbeiter der UN einen „digitalen“ Berliner Behördengang offensichtlich nie praktisch getestet. So ist die methodologische Vorgehensweise laut Website der Erhebung nur aus der Ferne geschehen. Für den EGDI beziehen sie Daten der Internationalen Fernmeldeunion, Daten der Unesco und Daten einer Online-Bewertung, die das Department selbst durchgeführt hat. Konkretere Informationen gibt es dazu nicht. Zum LOSI, der für die Berliner Verwaltung relevant ist, wird nur mitgeteilt, dass die Daten „von einer Gruppe von Forschern gesammelt werden“.

Untersucht wurden dabei 86 Indikatoren, die in fünf Subkriterien eingeordnet sind. Wie aussagekräftig die Methode wirklich ist, ist zweifelhaft angesichts der Tatsache, dass es in Berlin noch einiges in Sachen Digitalisierung der Verwaltung zu erledigen gibt. Gleichzeitig darf man die Erhebung aber auch nicht mit einer „digitalen Verwaltung“ gleichsetzen. Die UN spricht vom Spitzenplatz Berlins beim „Local Online Service Index“. Wieso die UN aber Digital-Erhebungen aus der Ferne unternimmt, deren Ergebnisse wenig Entsprechung im Leben der Bürger haben, bleibt ihr Geheimnis.

Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/berlin-hat-laut-un-die-digitalste-verwaltung-der-welt-der-senat-weiss-von-nichts-li.273672

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